Aus den Chroniken , Sighelm‘s von Goht

Kapitel vier

Der Norden

 

So reiste ich letztlich, mit jenen Händlern aus Burgund und den anliegenden Marken in den weiten Norden. Wenig war zu jener Zeit in den Mittellanden bekannt über die Regionen, welche heute die Salzlande genannt werden. Bernoth, welcher in den Wintermonaten viel auf den Märkten von Burgund unterwegs war, um Waren der südlichen Mittelande zu erstehen, hatte die Absicht zu einem Ort namens „Selursfjord“ zu reisen. Jener Ort befand sich an der nördlichen Küste dieser Lande. Die Reise dorthin galt allgemein als schwierig, denn man erzählte sich, dass das Meer dort zu teilen so kalt sei, dass es nicht in jedem Jahr zu befahren wäre, da oft eine dicke und scharfe Eiskruste das Fahrwasser verdecke und Schiffsrümpfe aufzureißen vermag, als wie eine scharfe Metzgerklinge es mit dem Wanzt der Schweine tut. Umso besser könne man jedoch in warmen Frühjahren diese Gewässer bereisen, um Waren aus den südlichen Regionen dort mit Zufriedenheyt zu handeln, um schwer bepackt mit kostbaren Fellen, Pökelfleisch und Salzen hernach gen Süden zurückkehren, bald reich wie der fetteste Edelmann aus dem Frankenreich.

Es muss um das Jahr 38 vor der Thronbesteigung unseres ehrwürdigsten König‘s Beleron, Begründer des Throns von Doria gewesen sein, als ich als junger und noch recht dürrer Kerl, jene kalte und unwirtliche Gegend mit meinen Gefährten zu Schiffe erreichte. Wahrhaftig sah ich mit eigenen Augen, ein Meer in welchem das Eis schwamm, groß und mächtig wie Inseln und ich fror in jener Zeit an Bord des Schiffes mehr, als ich je in meinem Leben zuvor gefroren hatte. Wahrlich ward es so kalt, dass jeder Mann seine Notdurft nur unter Deck verrichtete, aus Angst der eigene Manneszapfen könnte ihm klirrend zerspringen. Selten sollte es wohl sogar vor-kommen, dass das Meer hier sich den Seereisenden gar komplett verschloss, obwohl es hieß, das Wasser hier sei so sehr viel salziger als es im Rest der Welt der Falle währe, und das Salz verhindere someist das entstehen von Eis. Bei Mötrik so schwöre ich jedoch es war kälter als ein Mensch zu beschreiben vermag.

Ein Kälte aber, die jenen Seewölfen wenig anzuhaben vermochte, welche uns eines Morgens erspähten. Wir segelten entlang der zahlreichen Landeinbuchtungen, welche die Einheymischen als Fjorde benennen, als eines jener Schiffe, einer Seeschlange gleich von Land her auf uns zuschnellte. Bernoth erkannte rasch die schandhaften Ab-sichten, jener Besatzung und ließ alle Segel dem Wind zum Futter ausbreiten.

War es zwar riskant in solch vereistem Fahrwasser schnell zu segeln, doch erhofften wir so, den Mordbuben zu entkommen, welche wir bereits aus der Ferne, zähneknirschend und blutlüstern an Bord der Schlange zu erkennen glaubten. Doch bei der geheiligten Clara! Sie kamen näher und näher, bis sie uns erreichten und brüllend unsere Bordwand überwanden um uns nach Leib und Leben zu trachten. Wenig mehr vermag ich von diesem Schreckmoment zu erzählen, denn just traf mich bereits ein Schildrand am Schädel, und Dunkelheit umfing mich.

Als ich erwacht wurde, unter Zuhilfe eines stinkenden Fischwassereimers, ward ich gefesselt und wie ich verblüfft feststellte an Land geraten. Um mich herum ward geschäftiges Treiben. Wie ich später erfuhr, hatte ich Selursfjord erreicht. Doch nun nicht mehr als freier Mann und in Begleitung meiner Gefährten, sondern gefesselt und aller Freiheit beraubt, nicht mehr Händler sondern Handelsgut. Von meinen Gefährten war niemand zu sehen.

Und nun, ein halbes von hundert Jahren später, da ich ein alter Mann bin, erinnere ich mich zurück, an jene Jahre der Unfreiheit und alles was ich dort erlebte.

Ich erinnere mich nun nicht mehr an den Namen des Mannes der mich für seinen Herrn erwarb, doch tat er dies für einen Mann Namens Tjelvar Harvigson. Jener herrschte über Selursfjord und bezeichnete sich selbst in ihrer rauen, und nach Hundegebell klingenden Sprache als „Konungr“, was soviel wie König bedeuten soll. Doch darf man hierbei nicht an den Glanz und die Würde unseres glor-reichen Königs Beleron denken, welcher Doria in Güte und Stärke erstrahlen lässt. So herrschte dieser Tjelvar doch nur über einen kleinen Haufen Trunkenbolde und ein paar Schafe, windschiefe Gehöfte und eine Salzmine, mit welcher auch ich bald Bekanntschaft machen sollte. Mötrik sei dank, wurde ich dort nur wenige Wochen eingesetzt, die mir aber als die längsten meines Lebens erschienen. Doch lernte ich in jener Zeit mehr und mehr ihre Sprache, was sich als mein Glück herausstellen sollte. Denn bald ließ Tjelvar mich rufen, um ihm bei Verhandlungen mit einem Handelsmann aus den Mittellanden in mündlichem Wort zu übertragen. Noch stellte ich mich damit schwierig an und erhielt Schläge für mein ungenaues Gestammel, obgleich ihre Sprache doch wenig mehr als das ist. Doch Tjelvar ließ mich von nun an in seiner Halle leben und ich wurde fortan als Übersetzer gebraucht. In den folgenden Jahren lernte ich viel über das Land, seine Bewohner und ihre Sitten und Gebräuche, und fürwahr - ich hätte nicht für möglich gehalten, den heutigen Tag zu erleben, an dem ich, als einfacher Manner und treuer Untertan, dies nieder-schreibe und somit zum Wissen und der Überlegenheit des Dorianischen Reiches beizutragen vermag.

Tjelvar, der sich selbst König nannte, war nicht der einzige der sich als solcher bezeichnete. Seit einigen Jahren sei dies nun so, da ein Krieg zwischen den Sippen und Jarlen ausgebrochen sei, und viele sich als König bezeichnen wollten. Tjelvar hingegen, wurde nicht müde seinen Vater zu nennen. Jener sei „Har-Konungr“ genannt worden, und hätte über alles Land im Norden geherrscht, so behauptete er. In der Zeit seiner Herrschaft, so hieß es, sei der gesamte Norden vereint gewesen und es herrschte Friede und Wohlstand unter den Jarlen. Wie mir jedoch von anderer Seite zu Ohren gekommen ward, so sei jener Harvig der sich Groß-König oder dergleichen nannte, in einer Schlacht verschwunden. Viele Stimmen hörte ich, die aussprachen er sei feige ge-flohen, weshalb man auch Tjelvar und seiner Sippe die Königswürde absprach und andere sich für würdiger als Nachfolger hielten. Da es den Nordleuten eigen ist, sich selbst für würdiger und besser zu halten als alle anderen neben sich, mündete dies schließlich in einen ewigen Streit, der auch bis heute noch anzuhalten scheint. Sollte jener König Harvig je existiert haben, so hat er durch sein Verschwinden wohl ein ewig zänkisches Land zurück-gelassen, welches bis zum heutigen Tag keine Einigkeit und Zivilisation kennt.
Tjelvar, so erinnere ich mich, erzählte von zwei Brüdern, welche beide jünger waren als er. Da er selbst nun als ältester Sohn den größten Anspruch auf die Nachfolge seines Vaters inne hatte, sei sein Bruder, welcher an Jahren zwei weniger zählte, bereits vor dem Verschwinden ihres Vaters aufgebrochen die Welt mit dem Schiff zu erkunden und ferne Länder zu bereisen um dort eine eigene Herrschaft zu halten. Über den jüngsten Bruder ließ Tjelvar kaum etwas verlauten, und überhaupt belegte er mich
gern auch mit Schlägen, wenn ich ihn einmal auf jenen oder auf das Ver-schwinden seines Vaters näher ansprach.

In jenen Jahren als ich ihm dienen musste, es müssen 3 oder 4 gewesen sein, erfuhr ich also seltsames über die Salzlande. Salz gilt bis heute als wertvollster Schatz des Landes, und die Bewohner pflegen einen seltsamen Umgang damit. So bedeutend scheint es ihnen, dass sie in ihrer primitiven Art für nahezu jeden Zweck ein Salz zu kennen scheinen. Kleine und große Leiden, versuchen sie mit Salzen unterschiedlicher Art zu kurieren, welche sie an unterschiedlichen Orten des Landes gewinnen und unterschiedlich zu verarbeiten wissen. Ihre Speisen pflegen sie stark gesalzen zu verschlingen, so dass es einem ungewohnten Gaumen oft fast zu speien verlangt. Dies jedoch bereitet ihnen dann große Freude und sie halten sich nicht mit Spott zurück, wie auch nicht mit groben Scherzen über die Schwächen aller welche südlicher leben als sie selbst in ihrer verdammten und von allen Göttern verlassenen Kälte.

Wahrlich, alles scheint in diesen Landstrichen versalzen. So kam ich selbst ab und zu an guten Tagen, an Reste von der Tafel meines Herrn, und konnte auch vom Fleisch der Schafe kosten, welche auf ihren salzigen Wiesen grasen. Diese lassen sie an den flachen Hängen am Rand der See grasen, welche regelmäßig vom Meerwasser überspült werden. Dadurch wird das Gras stumpf und salzig, welches die Tiere fressen. Ihr Fleisch wird durch diese Kost selbst so salzhaltig, dass es nicht wie bei uns noch zur Lagerung eingepökelt werden muss, was mir jedoch recht praktisch erschien. Trotz allem mögen es diese Rohlinge sogar dieses Fleisch noch weiter zu salzen, bevor sie es verschlingen.

Da die See im Norden des Landes so salzig ist, gilt dies auch für die Fische die sie fangen und mit einem seltsamen Griff auszunehmen verstehen. Ohne ihren Leib mit dem Messer zu öffnen, pressen sie das innere des Fischs mit Gewalt durch die Mundöffnung nach außen, um den Fisch dann direkt zum trocknen aufzu-hängen.

Auch Federvieh halten Sie dort zuweilen. So wurde ich auch in einem jener sehr kalten Winter dort, als Haensn-Skelfa eingesetzt, was in unserer Sprache so viel bedeutet wie „Erschrecker von Hühnern“. Da diese Tiere im Winter oft still an einer Stelle stehen, besteht dort die Gefahr, dass Sie am Boden gefrieren und dann notge-schlachtet werden müssen. Aus diesem Grund müssen sie öfter aufgeschreckt und bewegt werden, was die Aufgabe des Haensn-Skelfa ist. Eine sehr undankbare Aufgabe, da man sich selbst ebenfalls der enormen Kälte aussetzen muss und die Hühner zuweilen, durch die enorme Kälte so lethargisch sind, dass kaum etwas sie zu erschrecken vermag.

Über ihren seltsamen Glauben bin ich bis heute nicht im Klaren. Viele Götter konnten sie mir nennen, und wie mit dem Salz scheinen sie für jeden Zweck einen eigenen zu kennen und schienen sich auch nicht zu scheuen ständig neue Götter in ihren Glauben einzubeziehen, sofern es ihnen als nützlich erschien. Des öfteren wurde mir gegenüber der Name des Gottes „Hammersbald“ angerufen, wenn man der Meinung war, ich solle meine Arbeit schneller erledigen. Mich jedoch weiter über diese primitiven Gebräuche auszulassen, erspare ich nun jedem Leser meiner Chronik, denn es ist nicht von wert sich damit näher zu befassen.

Traurig war mein Schicksal dort die Jahre zu verbringen und traurig  mag es auch dem Leser vorkommen. Doch wie gelang es mir nun, bis zum heutigen Tage zu gelangen, da ich im glorreichen Doria diese Schrift verfassen kann?

Ich erwähnte bereits die barbarische Streitlust der Salzländer und ihr Rangeln um die Herrschaft jener kargen und hässlichen Gegend. Und so zog auch jener Tjelvar mit seinen Raufbolden oft aus sich mit Schwert und Schild zu zanken um das was er Königstum nannte durchzusetzen.

Ein ständiger Widersacher ward, sofern ich mich recht erinnere, einer der Brodir Bjalfison geheißen. Mit stetigem Eifer bekämpfte sich diese Sippe mit der von Tjelvar, was ständig neues Blut forderte. Auch ich selbst wurde des öfteren gezwungen, Feld-züge zu begleiten und dort Arbeit zu verrichten, für welche sich die sogenannten Krieger zu schade waren. Von näheren Beschreibungen möchte ich diese Chronik jedoch verschonen.

So zogen wir eines Tages aus, diesen Brodir Bjalfison an den Salzmooren zu stellen, welche sich etwa einen Tages-marsch südlich von Selursfjord befinden. Dort also kam es zum Blutvergießen. Doch war Verrat im Spiel, als sich eine Gruppe im Gefolge von Tjelvar während der Schlacht gegen ihn wandte, wohl weil dieser Brodir sie im Vorfeld von seiner Sache überzeugt haben muss, aufhin sie diesen Verrat begingen. Ich selbst sah Brodir in jener Schlacht noch gegen Tjelvar fallen, doch auch Tjelvar selbst fiel an jenem Tag blutiger Klinge zum Opfer und versank im Moor. Ich selbst nutzte diese Stunde des Schreckens jedoch, um in panischer Flucht zu entkommen, nicht ohne mir vorher Klingen und Beutel einiger Gefallenen anzueignen. Viele Wochen nun, schlug ich mich durch die Wildnis weiter nach Süden dem Hunger- und Kältetod nah, erreichte ich schließlich einen Hafen an der Küste. Ich war frei. Nach all den Jahren. Mit dem wenigen erbeuteten heuerte ich nun im Hafen an weg von hier, nur weg wollte ich. Und meine Wege führten mich förderhin nach Anglia.